Nach all den Storys, welche ich zum einjährigen geschildert habe, musste ich teilweise selbst schmunzeln. Trotzdem, oder genau deshalb, wurden damals die Gläser erhoben und ich ging voller Zuversicht ins zweite Jahr. Eine so wilde Fahrt der Gefühle würde es im zweiten Jahr wohl nicht mehr geben…
Im Frühjahr 2019 lancierte Dinnair einen Heimlieferdienst namens «Pfeif mir doch». Das Konzept, ein simples WhatsApp mit deiner Bestellung, und schon war Dinnair im Anflug und brachte dir dein Essen kostenlos nach Hause. Einfacher geht es nicht, der Name originell. Das musste einfach ein Erfolg werden, ganz sicher sogar! Die Pilotphase brachte einzelne Bestellungen, der Prozess wirkte optimiert und durchdacht. Also gab ich Vollgas. 1000 Flyer wurden gedruckt und mit dem Velo in ganz Einsiedeln bei Sonnenschein und Regen verteilt. Abwarten. Tag 1 Null Bestellungen. Tag 2 Null, Tag 3…egal… Das wochenlang erdachte Konzept scheiterte kläglich. 1000 Flyer versus 4 Bestellungen. Das war zwar nicht fair, doch musste wohl so sein. Eine wunderbare Lektion, was «genial durchdachte Theorien im Kopf», mit der Praxis zu tun haben kann … Auch so wird man reich an Erfahrung.
«Flyer der monumentalen Dienstleistung…»
Doch gerade im vergangenen Jahr durfte ich mit Dinnair nicht nur Erfahrungen im schmerzhaften Bereich sammeln. Alles in allem war es ein sehr gelungenes Jahr. Ein supercooler Event am Open Air Kino in der Sihlsee Badi gehörte genauso dazu, wie die vielen neuen Kontakte die sich laufend ergaben. Oder dann rein logistisch ab August, der Bezug des neuen Lagers an der Zürichstrasse 36 in Einsiedeln. 100 Quadratmeter Platz zum «richtig» schaffen. Darin das Herzstück, die 3x4m Tiefkühlzelle. Der wohl grösste Traum eines Jungunternehmers. Ab jetzt musste platztechnisch nicht mehr in privaten Räumlichkeiten improvisiert werden. Whow, das fühlte sich richtig professionell an!«Die heilige Dinnair-Stube»
Die neue strategische Ausrichtung des Unternehmens (natürlich-unverpackte Tiefkühlprodukte) welche ich eingeschlagen habe war nicht nur einmalig, sondern brachte auch eine unglaubliche Vereinfachung im ganzen Prozess mit sich und weckte darüber hinaus auch das Interesse für mögliche Zusammenarbeiten mit anderen Partnern. Der Gang am 30. September 2019 auf das Notariat in Wetzikon bleibt für die Geschichtsbücher. Die Jucker Farm AG beteiligte sich an Dinnair. Strategisch eine perfekte Win-win-Lösung für beide Firmen. Meine Güte. Auch das fühlte sich richtig emotional und gross an. Von jetzt an war es nicht mehr ein «ich» sondern ein «wir».«Zusammen mit Beat Jucker vor dem Notariat»
Im Laufe des Herbstes wurde der zu bewältigende Weg immer klarer. Nach 1,5 Jahren testen, ausprobieren, scheitern, fallen und wiederaufstehen, wusste ich was zu tun war. Respektive wussten wir, was wir mit Dinnair tun wollten. Ein wichtiger Prozess für ein Start Up. Die Gedanken wurden leichter.So entschieden wir uns, den Markt in Urdorf aufzugeben. Ein weiterer gefühlsvoller Verlust von etwas, was man aufbaute. Doch darin hatte ich genügend Erfahrung. Und es war richtig.
Tage darauf konnte der gesamte Onlinevertrieb zu den Profis von farmy.ch ausgelagert werden. Neue Produkte wurden zusammen mit neuen Produzenten entwickelt. Es ging im Schnelltempo vorwärts.
Und dann war es endlich so weit. Nach all den vergangenen Monaten war nun der Tag da, an denen ich mir meinen allerersten Lohn ausbezahlte. Was für ein Gefühl! Die Erinnerungen an den ersten Zahltag in der Lehre kreisten im Kopf. Das erste, allererste hart verdiente Dinnair-Geld. Unbeschreiblich. Drei Mal durfte ich den Dinnair-Zahltag feiern, eher ich merkte, dass uns genau dieses Geld für weitere Investitionen, für das Wachstum der jungen Firma fehlte. Also wurde privat wieder alles zurückgesteckt und der Lohntacho erneut auf null gestellt. Es musste wieder mit dem Erlös vom Nebenjob reichen. Denn Jeder verdiente Franken bei Dinnair sollte weiterhin investiert werden und dem Unternehmen zu Gute kommen. Dies ist keine rationelle Entscheidung, die ein Jungunternehmer im Kopf trifft. Es passiert im Herzen.
Eine weitere Premiere sollte während dem Weihnachtsmarkt in Einsiedeln stattfinden, denn wir hatten die Standzusagen erhalten. Tiefkühlprodukte an einem Weihnachtsmarkt? Das fühlte sich verrückt an, zugegeben. Und genau deshalb hatten wir so richtig Lust darauf. So machten wir uns bald an die Planung, wie das Konzept aussehen könnte. Unser Markthüttli beschrifteten wir mit «Einsiedler Delikatessen». Das erachteten wir als zentrale Botschaft für unsere Passanten. Unsere Einsiedler Linie mit Sihlsee Pie, Klosterkräuter Knödel, Ravioli, Chäschüechli etc. platzierten wir unübersehbar an vorderster Front. Die Regionalität sollte unser Trumpf sein. Alle weiteren Spezialitäten wie Momos, Frühlingsrollen, Empanadas, Capuns etc. hatten wir im Hintergrund mitgebracht. Als die ersten Menschenströme am Markt vorbeizogen, merkten wir sehr bald, dass niemand in unsere Tiefkühltruhen hineinsah. Unser Stand war wegen dem abfallenden Trottoir etwa 30cm erhöht. Also musste improvisiert werden, und zwar schnell. So nahmen wir alle Rezeptkarten und hängten sie wie kleine Plakate rund um unsere Festung auf. Was wir nicht merkten, oder später vielleicht auch als nicht so schlimm betrachteten, war nun unsere Überschrift «Einsiedler Delikatessen». Rundherum hingen unter anderem auch unsere fremdländischen Angebote von Frühlingsrollen und Co. Meine Güte, in der heutigen Zeit würde man das einen regelrechten Shitstorm nennen, wie die Leute darauf reagierten! «Das sind doch keine Einsiedler Delikatessen, habt ihr keine Ahnung…?» Zum Teil waren es schon Anfeindungen. Die Überschrift überlebte nur wenige Stunden. Wir hatten mit unseren herzvollen Erklärungen kapituliert.
«Einsiedler Delikatessen am Weihnachtsmarkt Einsiedeln»
Der Weihnachtsmarkt war für uns ein voller Erfolg. Eine Wohltat und eine Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Doch die 10 Tage und insbesondere der Druck davor, hatte auch Spuren hinterlassen. Mental wie körperlich, völlig kaputt. Es war zu viel. Ich war kurz vor dem k.o. Tage darauf durfte ich eine Lieferung für das «Knusperholz» in Schwyz tätigen. Alles bereitgestellt und vermeintlich ins Auto eingeladen, fuhr ich nach Schwyz. Kofferraum auf…. Fu**, ich hatte die Ware nicht mitgenommen, vergessen! So ging es nochmals zurück nach Einsiedeln und halt nochmals nach Schwyz. Ich war definitiv ferienreif. Mein Hirn überlastet.Der Aufbau ging im Frühjahr 2020 sehr rasch vorwärts. Insgesamt konnten schon 10 Verkaufspartner gefunden werden. Und dann kam das, was niemand für möglich gehalten hatte. Covid-19.
Zwar gehören wir zu den glücklichen, die ihr Geschäft weiterhin offenhalten können. Ja, vielleicht sogar davon profitieren (Tiefkühlprodukte eignen sich perfekt zum Bevorraten). Hinter den Kulissen gelangen wir aber in ein Wachstumsproblem. Die Produktion unserer Mehrwegbehälter in Italien
wurde eingestellt. Auch die Tiefkühltruhen werden zurzeit nicht mehr produziert. Das heisst, unser Wachstum steht still. Doch das sind nur kleine Sorgen. So nutzen wir die Chance und machen uns rundum fit und gleisen alle Prozesse auf, die es für dieses Jahr noch braucht (Logistik auslagern, Übersetzungen für Kunden in der französischen Schweiz etc). Denn unsere Zielsetzung ist anspruchsvoll und wir wollen sie auf jeden Fall erreichen. Die Power ist vorhanden, die Batterien voll. Motiviert und engagiert machen wir uns auf die Reise. Denn da draussen gibt es noch so viel zu entdecken!
«Vor Corona – Eine neue Truhe für's "Ohni" in Thun»
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